Mittwoch, 7. November 2007

Stellungnahme von Prof. Daiber gegenüber dem Präsidium der Goethe-Uni


Sehr geehrter Herr Präsident, die Pläne der Johann Wolfgang Goethe-Universität, sich in eine Stiftungsuniversität umzuwandeln und die angestrebte Neuprofilierung der Universität im Rahmen von geisteswissenschaftlichen Zentrenbildungen haben mich zu vorliegendem Brief veranlasst.
Es stellt sich zunehmend heraus, dass die schwerpunktmäßige Verlagerung der Orientalistik nach Marburg das wissenschaftliche Profil der in Frankfurt vorhandenen Fächer erheblich zu beeinträchtigen droht; orientalistische Lehrveranstaltungen, beschränkt auf Sprache und Literatur, sollen weder für die neu eingerichtete Studienrichtung Empirische Sprachwissenschaft noch für die neu eingerichtete Studienrichtung Islamische Religionswissenschaft in der Theologischen Fakultät angeboten werden.
Diese Verbannung Orientalischer Philologie, mit den Schwerpunkten Sprache und Literatur des Arabischen, Persischen und Syrisch-Aramäischen, aus dem Angebot der Frankfurter Universität ist kontraproduktiv und im globalen Zeitalter schlichtweg nicht akzeptabel. Sie vernichtet die Voraussetzung für grenzüberschreitende Tätigkeiten der vorhandenen Fächer, auch der Fächer außerhalb der früheren Philosophischen Fakultät. Schwerpunkte der Frankfurter Universität, die ihr besonderes Ansehen etwa auf dem Gebiet der Geschichte, insbesondere der Wissenschaftsgeschichte verschafft haben, aber auch ein neu eingerichtetes Zentrum wie die Ostasienwissenschaften sollten gegebenenfalls auf ein Minimum orientalistischen Lehrangebots, nämlich zu Sprache und Literatur, zurückgreifen können. Arabische Sprache und Literatur wird auch von den Muslimen in Indien, Südostasien und China gepflegt und hat dort Kulturen und deren Sprachen geprägt.
Besonders gravierend droht der Wegfall Orientalischer Philologie für die Judaistik der Frankfurter Universität zu werden. Das Fach Judaistik, das im Rahmen der Zentrenbildung zum Schwerpunkt der Frankfurter Universität gemacht worden ist, kann nicht auf arabische Sprache und Literatur verzichten, sofern es sich auf die Begegnung des Judentums mit dem Islam vor allem im Mittelalter konzentriert. Der Beitrag arabisch-islamischer Literatur und Kultur zur Formung von Theologie, Philosophie und Wissenschaften im jüdischen Mittelalter ist ein Gebiet, das von eminenter Bedeutung auch für die aktuelle Auseinandersetzung zwischen Judentum und Islam ist. Wer sich mit dem jüdischen Gelehrten Maimonides aus dem 12./13. Jh. beschäftigt, wird dies nicht ohne Kenntnis arabischer Literatur, etwa zur Theologie, Philosophie und Medizin, tun können.
Die Bedeutung der Orientalischen Philologie für die Judaistik ist bereits von den Gründern der Frankfurter Universität erkannt worden. Der aus Frankfurt stammende und 1865 nach Amerika emigrierte jüdische Bankier Jakob Heinrich Schiff (1847-1920), der zu den Gründern der Frankfurter Universität gehört und dessen Name heute noch eine Straße in Eschersheim trägt, stiftete am 15. Juli 1913 einen „ordentlichen Lehrstuhl für Semitische Philologie mit Berücksichtigung der targumischen und talmudischen Literatur an der in Frankfurt am Main zu begründenden Universität, und, falls nach dessen Dotierung noch aus den Jahreszinsen ein Betrag verfügbar ist, etwaiger dem Lehrstuhl angegliederter Institute oder Einrichtungen“. Im Vorfeld war in der von dem Rabbiner M. Rahmer gegründeten Zeitschrift Jüdisches Litteratur-Blatt Jg. 33, 1911, S. 49-54) von H. Bahr bereits die Notwendigkeit eines Lehrstuhls für talmudische Forschung an der geplanten Frankfurter Universität diskutiert worden, allerdings als Hilfe für die Auslegung des in jüdischer Umgebung entstandenen Neuen Testaments. Diese Diskussion wird später, in er Stellungnahme dahingehend präzisiert, daß die zu gewinnende Person für den Lehrstuhl jemand sein müsse, „der mit dem innersten Geiste dieser (sc. talmudischen) Überlieferungen womöglich durch eine rabbinische Erziehung vertraut und doch in strengem Sinne Semitist ist, so dass er, woran es in jenen dilettantischen Bemühungen zumeist fehlt, neben dem Hebräischen auch die übrigen semitischen Sprachen, vor allem das Arabische und Syrische wirklich beherrscht“.
Dieser von Schiff gegründete Lehrstuhl ist der Beginn der Orientalistik in Frankfurt, die in der Person von Josef Horovitz (geb.1874) bereits einen namhaften Vertreter hatte. Horovitz baute das Frankfurter Orientalische Seminar auf, dessen Direktor er von 1915 bis zu seinem vorzeitigen Tod 1931 er gewesen ist. Horovitz ist bekannt geworden vor allem durch seine arabischen Editionen einer Prophetenbiographie und durch seine Untersuchungen zum Koran und dessen jüdischen Hintergrund. Er arbeitete an einer Konkordanz zur altarabischen Poesie, ein Projekt, das lange nach seinem Tode, auch mit Beteiligung des Frankfurter Orientalischen Seminars abgeschlossen wurde und 1999 im Druck erschien.
Bei Horovitz habilitierte sich 1931 der Orientalist Martin Plessner (1900-1973) für Semitische Philologie und Islamkunde; er hielt im selben Jahr seine Antrittsvorlesung zur Erlangung der venia legendi über „Die Geschichte der Wissenschaften im Islam als Aufgabe der modernen Islamwissenschaft“, damit eine Idee vorwegnehmend, die heute in dem Frankfurter, von Fuat Sezgin 1982 gegründeten und durch eine Stiftung arabischer Länder finanzierten Institut für Geschichte der Arabisch-Islamischen Wissenschaften verwirklicht worden ist. Die Geschichte der Wissenschaften, unter Einbeziehung des Arabischen, das er neben dem Chinesischen beherrschte, war das Spezialgebiet des 1905 geborenen und 1981 verstorbenen Willy Hartner, der nach dem 2. Weltkrieg 1946 zum Ordinarius für Geschichte der Naturwissenschaften ernannt wurde. Sein Nachfolger wurde 1985 David King (geb. 1941), dessen Schwerpunkt die islamische Astronomie und islamische astronomische Instrumente ist. Mit dessen Ausscheiden wurde seine Stelle aufgehoben.
Parallel zu dieser wissenschaftshistorischen Tradition finden wir im Frankfurter orientalistischen Wissenschaftsbetrieb in der Person von Gotthold Weil (1992-1960) einen Vetreter der sprachhistorischen und literaturgeschichtlichen Forschung. Weil ist der Nachfolger von J. Horovitz und hatte von 1931 bis 1935, bis zu seiner Emigration nach Palästina, dessen Stelle inne. Nach Weil wurde die Stiftungsprofessur für „Semitische Philologie“ unter der Naziherrschaft und infolge der Kriegswirren nicht mehr besetzt; wir erfahren lediglich von einem Lehrauftrag für Arabisch und Islamkunde, den J. Fück im Jahr 1936 wahrgenommen hat. Im Jahre 1939 wurde das Stiftungsvermögen der Allgemeinen Hochschulstiftung, der Dr. Adolf Varrentrapp-Stiftung zugeführt.
Doch 1950 kam in der Person von Hellmut Ritter (1892-1971) ein international renommierter Orientalist und Kenner der arabisch-persisch-türkischen Philologie, der sich besonders um die Erschließung arabischer und persischer Literatur durch Handschriftenkataloge, Editionen und Übersetzungen verdient gemacht hat. Er brachte seine noch heute einzigartige Sammlung von etwa 5000 Bänden hauptsächlich arabischer und persischer, aber auch türkischer Werke aus Istanbul mit, wo er seit 1926 als Leiter der Zweigstelle der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft gewirkt
hatte. Eine Zerschlagung dieser Bibliothek und ein Teiltransfer nach Marburg ist daher nicht annehmbar.
Nach Ritters Emeritierung im Jahre 1956 folgte ihm auf dem Lehrstuhl Rudolf Sellheim (geb. 1928), dessen Hauptwerk die Katalogisierung und Auswertung arabischer Handschriften für die Literaturgeschichte ist. Ihm folgte 1995 Unterzeichneter (geb. 1942), der sich gleichfalls mit der Katalogisierung arabischer Handschriften beschäftigte, sich in seinen Arbeiten auf die Rolle des Islam zwischen Antike und Mittelalter konzentrierte und einem Urteil von Martin Plessner zufolge in seiner Dissertation (1967; gedruckt 1980) die griechisch-arabische Übersetzungsliteratur als Quelle für die griechische Sprachgeschichte entdeckt hat; er gibt die Reihe „Aristoteles Semitico-Latinus“ über das Fortleben des aristotelischen corpus in arabischer, syrischer, hebräischer und arabisch-lateinischer Überlieferung (seit 1975, 19 Bände) sowie die Reihe „Islamic Philosophy, Theology and Science. Texts and Studies“ (seit 1982, 73 Bände) heraus.
Der vorausgehenden Übersicht kann der Leser unschwer Richtungen der Frankfurter Orientalistik entnehmen, die dem Komplex Judentum-Islam (Horovitz, Weil, Daiber) zuzuordnen sind oder der arabischen Sprachgeschichte (Weil, Daiber) oder der Literaturgeschichte (Horovitz, Ritter, Sellheim, Sezgin, Daiber) oder der arabisch-islamischen Wissenschaftsgeschichte (Plessner, Hartner, King, Sezgin, Daiber) und der islamischen Philosophie und Theologie (Daiber).
Die genannten Richtungen setzen die Erschließung und das Studium arabischer Dokumente voraus, das heißt einen Aspekt der Orientalistik, der in dieser Komplexität nicht von einer Universität bewältigt werden kann, die sich auf islamische Geschichte, Religion oder die heutige islamische Welt konzentriert.
Vor allem aber ist das Studium der Islamischen Religionswissenschaft in der Theologischen Fakultät der Frankfurter Universität nicht ohne eine solide Kenntnis arabischer Sprache und Literatur möglich.
Ferner ist es völlig anachronistisch, in der Frankfurter Universität ein Fach Empirische Sprachwissenschaft anzubieten, das orientalische Sprachen ausschließt.
Der wichtigste Grund ist aber die aus der oben skizzierten Geschichte der Disziplin erwiesene Tatsache, dass die Judaistik in ihrem schwerpunktmäßigen Ausbau nicht auf arabische Sprache und Literatur verzichten kann, auch und vor allem dann, wenn es um Aspekte des Sprach- und Kulturaustausches zwischen Judentum und Islam geht.
Die genannten Aspekte rechtfertigen das wissenschaftsgeschichtlich erwiesene und wissenschaftstheoretisch notwendige Wiederaufleben einer alten Frankfurter jüdischen Stiftung, des von Jakob Heinrich Schiff 1913 gestifteten Lehrstuhls für semitische Philologie, wobei entsprechend dem Profil der Frankfurter Orientalistik dieser Lehrstuhl sich auf Orientalische Philologie konzentrieren muß, mit besonderer Berücksichtigung arabischer Sprache und Literatur.
Eine Einbettung dieses Lehrstuhls in die Studienrichtung der empirischen Sprachwissenschaft und dessen Funktion für die vergleichende Sprachbetrachtung, für die Judaistik, für die Islamische Religionswissenschaft und für historische Fächer, etwa Wissenschaftsgeschichte, widersprechen nicht dem Ziel einer Zentrenbildung. Denn die in Frankfurt angestrebte philologische Akzentuierung der Orientalistik dient den Schwerpunkten der Frankfurter Universität.
Die optimale Gestaltung dieser Schwerpunkte der Frankfurter Universität, insbesondere der Judaistik, darf nicht den Interessen der Marburger Universität geopfert werden. Das ist die Frankfurter Universität ihrem Ruf schuldig, aber auch ihrer Tradition als einstige und zukünftige Stifteruniversität und vor allem aber ihrem Namenspatron, Johann Wolfgang von Goethe, der in seinem West-östlichen Diwan sagte: „Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen“.
Ich bitte Sie daher im Interesse der Frankfurter Universität, ihres Profils und ihres Ansehens dringend, meinen Vorschlag ernst zu nehmen, die orientalistische Professur mit dem Profil Orientalische Philologie, mit besonderer Berücksichtigung arabischer Sprache und Literatur wiederzubesetzen.
Prof. Dr. Hans Daiber, Orientalisches Seminar Frankfurt

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