Studieren ohne Bücher – kein Witz, sondern Frankfurter Realität! Geht es nach dem Präsidium der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität, dann können Studierende der Orientalistik schon ab November 2007 nicht mehr auf Korankommentare und Prophetentraditionen zugreifen – das ist, als würde man den Juristen Gesetzesbücher und die entsprechenden Interpretationen nehmen! Dies kommt einer regelrechten Plünderung gleich. Hintergrund: Im Zuge der Fächerkonzentration an hessischen Hochschulen soll der maßgebliche Bestand der Bibliothek am Frankfurter Orientalischen Seminar mit den orientalischen Bibliotheken aus Gießen und Marburg an der Marburger Philipps-Universität zusammengelegt werden.
Das Unfassbare daran: Dafür zahlen die Studierenden auch noch die zum Wintersemester eingeführten Studiengebühren! Welche Logik steckt dahinter: Studiengebühren einführen – Bibliothek leer räumen? Wie sollen Studenten unter diesen Umständen zu einem erfolgreichen Studium motiviert werden?! Und das im Jahr 2007, dem Jahr der Geisteswissenschaften!
Schon bei der Entscheidung zur Fächerkonzentration vor nunmehr drei Jahren schien es sich um eine Pokerrunde der Präsidenten der Unis von Gießen, Marburg und Frankfurt zu handeln – den damaligen Wissenschaftsminister Udo Cortz nicht zu vergessen. Persönliche Affinitäten und unwissenschaftliche Überlegungen gaben offensichtlich Ausschlag, welches Zentrum wo eingerichtet wird. Ergebnis: die Asienwissenschaften, allen voran die Sinologie („China kommt!“), konzentrieren sich in Frankfurt, die Slawistik unter absolut irrationalen Umständen in Gießen und die Orientalistik schließlich in Marburg – der dortige Uni-Präsident soll ein Fan der Golfstaaten sein.
Dass man die Mitarbeiter der einzelnen Lehrstühle in diesen Prozess miteinbezieht – Fehlanzeige. Dass es sich etwa bei dem Lehrstuhl am Orientalischen Seminar um eine jüdische Stiftung aus den Anfängen der Frankfurter Uni handelt – wird ignoriert. Dass Professoren bereits Erfahrungen mit ganz ähnlichen Prozessen an in- und ausländischen Hochschulen haben – wird nicht beachtet.
Was die Orientalistik angeht, so wurde immerhin erreicht, dass dem Antrag Professor Daibers stattgegeben wurde, seine für September 2007 geplante Pensionierung um zwei Jahre aufzuschieben. So ist es den Studenten wenigstens möglich, ihren Studienabschluss in der Regelstudienzeit zu erreichen. Doch wie soll das künftig vonstatten gehen? Ein Studium ohne Bücher? Wie soll ein Seminar über Hadith (Überlieferungen des Propheten Mohammed) gestaltet werden, wenn die Studenten keinen Zugriff auf Hadithsammlungen haben?
Bereits im Sommersemester 2007 erfolgte eine Begehung der Bibliothek des Orientalischen Seminars. Die Schließung des Seminars war schon beschlossene Sache, und die Geier kreisten über der bewusstlosen Patientin. Verschiedene Institutionen bekundeten ihr Interesse an den Beständen der Bibliothek. Neben den Marburger Orientalisten haben auch Frankfurter Uni-Institutionen Bedarf an den Büchern: die Theologien (evangelische und katholische) mit ihren verschiedenen Unterdisziplinen wie Religionswissenschaft, Islamische Religion, Religionsphilosophie, der Islamischen Stiftungsprofessur und der Martin-Buber-Professur. Der Transfer der Orientalischen Bibliothek an die Frankfurter Theologie würde es den Orientalistik-Studenten immerhin ermöglichen, die Bestände weiterhin zu nutzen. Wenigstens bis zur unaufhaltsamen Schließung des Frankfurter Seminars 2010. Und schließlich stehen ja auch die Marburger nicht ohne da – sie haben doch die Bücher ihres eigenen und des Gießener Instituts!
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