FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
SEITE 54 - DIENSTAG, 23. OKTOBER 2007 - NR. 246
Studieren ohne Bücher
Weiter Ärger über Zentrenbildung in Hessen
FRANKFURT/MARBURG. Im Orientalischen Seminar der Universität Frankfurt protestieren die Studenten für den Erhalt ihrer Bibliothek. Schon im November sollen, wie ihnen erst jetzt mitgeteilt wurde, große Teile des Bestandes an die Universität Marburg gebracht werden. Dort entsteht das Zentrum für Nah- und Mitteloststudien, seit die Landesregierung beschlossen hatte, die kleineren geisteswissenschaftlichen Fächer zu bündeln. Im Gegenzug wird das Marburger Japanzentrum geschlossen; eine erste Ladung Bücher soll nun nach Frankfurt kommen, wo das Fach wetterbetrieben wird.
Allerdings war schon eingeschriebenen Studenten garantiert worden, ihr Studium an der eigenen Hochschule abschließen zu können. Frühestens 2010, heißt es, würden die Standorte geschlossen. Die Frankfurter Orientalisten, die nun die ersten Studiengebühren entrichten mussten, haben ihre Kommilitonen im Senat, der morgen tagen wird, um Amtshilfe gebeten: Das Vorenthalten wissenschaftlicher Literatur sei Grund für eine Klage auf Rückerstattung der Gebühren.
Der Frankfurter Uni-Vizepräsident Ingwer Ebsen sagte gestern, die schrittweise Bibliotheksverlagerung sei „eines der schwierigen Übergangsprobleme des Zentrumskonzeptes". Schon 2009/2010 würden die neuen Zentren evaluiert, daher müsse gehandelt werden. Dies solle das Studium möglichst wenig beeinträchtigen. Mit Marburg sei ausgemacht, etwa durch Semesterapparate in Frankfurt die Literaturversorgung sicherzustellen.
Deutlicher noch als die Kritik der Studenten fällt jene der Wissenschaftler aus, die sich ebenfalls im Senat zu Wort melden wollen. Der Frankfurter Orientalistikprofessor Hans Daiber sagte, er habe erst durch Ebsens Brief vom 15. Oktober von der kurzfristig bevorstehenden Teilauflösung der Bibliothek erfahren, bei der auch die wichtige Arabistikliteratur weggebracht werden soll. Studenten und Forscher benötigten den Buchbestand, außerdem werde er von der Judaistik und der Religionswissenschaft, zumal dem neu etablierten Schwerpunkt Islam, genutzt. Die geplante Teilung bedeute Zerstörung: Wenn überhaupt, so Daiber, solle die Bibliothek komplett transferiert werden. Daiber, der jetzt hätte emeritiert werden sollen, wird noch bis 2009 lehren und prüfen.
Der Bibliotheksumzug ist nur eine Folge der von allen Beteiligten ungeliebten Zentrenbildung. Schon im April hatten Orientalistik-Studenten protestiert, weil die nach der Verlegung einer Wissenschaftlerstelle nach Marburg versprochene Aufstockung des Lehrangebots unterblieben war. Der Frankfurter Sprachwissenschaftler Jost Gippert sagte, schon jetzt dürften sich Studenten nicht mehr für den neugeschaffenen Studiengang Empirische Sprachwissenschaften mit dem Schwerpunkt orientalische Sprachen einschreiben. In Zukunft soll es laut Ebsen nur eine Lektorenstelle für Arabisch an der Universität geben. Heinrich Menkhaus, Marburger Professor für japanisches Recht, hält einen Umzug der Japan-Bibliothek für nicht sinnvoll, zumindest nicht, bevor das gesamte Zentrum „abgewickelt" sei. Frankfurt habe man die philologischen Bestände angeboten, da dieses Fach in Marburg nicht gelehrt werde.
Noch unklar ist das Schicksal der Frankfurter Turkologie. Dass die Judaistik, die ursprünglich zur Disposition stand, nach Protesten sogar zu einem Frankfurter Schwerpunkt erklärt wurde, lässt Daiber hoffen: Seine Professur beruhe auf der Stiftung eines jüdischen Mitbegründers der Universität, des Bankiers Heinrich Schiff. Dieses Erbe zu vernachlässigen könne nicht im Sinne der künftigen Stifungsuniversität sein. EVA-MARIA MAGEL
SEITE 54 - DIENSTAG, 23. OKTOBER 2007 - NR. 246
Studieren ohne Bücher
Weiter Ärger über Zentrenbildung in Hessen
FRANKFURT/MARBURG. Im Orientalischen Seminar der Universität Frankfurt protestieren die Studenten für den Erhalt ihrer Bibliothek. Schon im November sollen, wie ihnen erst jetzt mitgeteilt wurde, große Teile des Bestandes an die Universität Marburg gebracht werden. Dort entsteht das Zentrum für Nah- und Mitteloststudien, seit die Landesregierung beschlossen hatte, die kleineren geisteswissenschaftlichen Fächer zu bündeln. Im Gegenzug wird das Marburger Japanzentrum geschlossen; eine erste Ladung Bücher soll nun nach Frankfurt kommen, wo das Fach wetterbetrieben wird.
Allerdings war schon eingeschriebenen Studenten garantiert worden, ihr Studium an der eigenen Hochschule abschließen zu können. Frühestens 2010, heißt es, würden die Standorte geschlossen. Die Frankfurter Orientalisten, die nun die ersten Studiengebühren entrichten mussten, haben ihre Kommilitonen im Senat, der morgen tagen wird, um Amtshilfe gebeten: Das Vorenthalten wissenschaftlicher Literatur sei Grund für eine Klage auf Rückerstattung der Gebühren.
Der Frankfurter Uni-Vizepräsident Ingwer Ebsen sagte gestern, die schrittweise Bibliotheksverlagerung sei „eines der schwierigen Übergangsprobleme des Zentrumskonzeptes". Schon 2009/2010 würden die neuen Zentren evaluiert, daher müsse gehandelt werden. Dies solle das Studium möglichst wenig beeinträchtigen. Mit Marburg sei ausgemacht, etwa durch Semesterapparate in Frankfurt die Literaturversorgung sicherzustellen.
Deutlicher noch als die Kritik der Studenten fällt jene der Wissenschaftler aus, die sich ebenfalls im Senat zu Wort melden wollen. Der Frankfurter Orientalistikprofessor Hans Daiber sagte, er habe erst durch Ebsens Brief vom 15. Oktober von der kurzfristig bevorstehenden Teilauflösung der Bibliothek erfahren, bei der auch die wichtige Arabistikliteratur weggebracht werden soll. Studenten und Forscher benötigten den Buchbestand, außerdem werde er von der Judaistik und der Religionswissenschaft, zumal dem neu etablierten Schwerpunkt Islam, genutzt. Die geplante Teilung bedeute Zerstörung: Wenn überhaupt, so Daiber, solle die Bibliothek komplett transferiert werden. Daiber, der jetzt hätte emeritiert werden sollen, wird noch bis 2009 lehren und prüfen.
Der Bibliotheksumzug ist nur eine Folge der von allen Beteiligten ungeliebten Zentrenbildung. Schon im April hatten Orientalistik-Studenten protestiert, weil die nach der Verlegung einer Wissenschaftlerstelle nach Marburg versprochene Aufstockung des Lehrangebots unterblieben war. Der Frankfurter Sprachwissenschaftler Jost Gippert sagte, schon jetzt dürften sich Studenten nicht mehr für den neugeschaffenen Studiengang Empirische Sprachwissenschaften mit dem Schwerpunkt orientalische Sprachen einschreiben. In Zukunft soll es laut Ebsen nur eine Lektorenstelle für Arabisch an der Universität geben. Heinrich Menkhaus, Marburger Professor für japanisches Recht, hält einen Umzug der Japan-Bibliothek für nicht sinnvoll, zumindest nicht, bevor das gesamte Zentrum „abgewickelt" sei. Frankfurt habe man die philologischen Bestände angeboten, da dieses Fach in Marburg nicht gelehrt werde.
Noch unklar ist das Schicksal der Frankfurter Turkologie. Dass die Judaistik, die ursprünglich zur Disposition stand, nach Protesten sogar zu einem Frankfurter Schwerpunkt erklärt wurde, lässt Daiber hoffen: Seine Professur beruhe auf der Stiftung eines jüdischen Mitbegründers der Universität, des Bankiers Heinrich Schiff. Dieses Erbe zu vernachlässigen könne nicht im Sinne der künftigen Stifungsuniversität sein. EVA-MARIA MAGEL
1 Kommentar:
"Schon 2009/2010 würden die neuen Zentren evaluiert, daher müsse gehandelt werden."
Dies ist der wahrscheinlich entscheidenste Satz. Darauf wurden wir Studenten auch in der Senatssitzung hingewiesen. Wichtig für die Entscheidung der Verlegung ist nicht, ob Studenten angemessen studieren können (Bücher wären da wohl eine Grundvoraussetzung), sonder der Ruf eines neu gegründeten Zentrums. Aber nicht nur das neue Orient-Zentrum in Marburg wird 2009/2010 einer Bewertung unterzogen, sondern auch wir, die Studenten der Orientalistik Frankfurt. Und es wäre mir äußerst unangenehm, wenn ich in dieser Bewertung, also meiner Magisterprüfung zugeben müsste: "Ein paar Bücher habe ich gelesen. Halt die, die da waren. In Marburg war ich leider nicht so oft, um die für meine Begriffe wichtige Literatur zu besorgen, weil ich arbeiten musste, um 750 Euro Studiengebühren zahlen zu können (Wieviele Bücher hätte ich davon wohl kaufen können???). Noch ein Semester dran hängen geht auch nicht, da das Institut geschlossen wird...." Das wäre unangenehm. Nicht nur für mich, sonder auch für eine Universität, die Studenten zu so einer Halbbildung zwingt und damit in die Arbeitswelt entlässt!!!!!
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