Samstag, 27. Oktober 2007

FAZ, 23.10.2007


FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
SEITE 54 - DIENSTAG, 23. OKTOBER 2007 - NR. 246

Studieren ohne Bücher
Weiter Ärger über Zentrenbildung in Hessen


FRANKFURT/MARBURG. Im Orienta­lischen Seminar der Universität Frank­furt protestieren die Studenten für den Erhalt ihrer Bibliothek. Schon im No­vember sollen, wie ihnen erst jetzt mit­geteilt wurde, große Teile des Bestan­des an die Universität Marburg ge­bracht werden. Dort entsteht das Zen­trum für Nah- und Mitteloststudien, seit die Landesregierung beschlossen hatte, die kleineren geisteswissen­schaftlichen Fächer zu bündeln. Im Ge­genzug wird das Marburger Japanzen­trum geschlossen; eine erste Ladung Bücher soll nun nach Frankfurt kom­men, wo das Fach wetterbetrieben wird.
Allerdings war schon eingeschriebe­nen Studenten garantiert worden, ihr Studium an der eigenen Hochschule ab­schließen zu können. Frühestens 2010, heißt es, würden die Standorte geschlos­sen. Die Frankfurter Orientalisten, die nun die ersten Studiengebühren ent­richten mussten, haben ihre Kommilito­nen im Senat, der morgen tagen wird, um Amtshilfe gebeten: Das Vorenthal­ten wissenschaftlicher Literatur sei Grund für eine Klage auf Rückerstat­tung der Gebühren.
Der Frankfurter Uni-Vizepräsident Ingwer Ebsen sagte gestern, die schritt­weise Bibliotheksverlagerung sei „ei­nes der schwierigen Übergangsproble­me des Zentrumskonzeptes". Schon 2009/2010 würden die neuen Zentren evaluiert, daher müsse gehandelt wer­den. Dies solle das Studium möglichst wenig beeinträchtigen. Mit Marburg sei ausgemacht, etwa durch Semesterappa­rate in Frankfurt die Literaturversorgung sicherzustellen.
Deutlicher noch als die Kritik der Stu­denten fällt jene der Wissenschaftler aus, die sich ebenfalls im Senat zu Wort melden wollen. Der Frankfurter Orien­talistikprofessor Hans Daiber sagte, er habe erst durch Ebsens Brief vom 15. Oktober von der kurzfristig bevor­stehenden Teilauflösung der Bibliothek erfahren, bei der auch die wichtige Arabistikliteratur weggebracht werden soll. Studenten und Forscher benötig­ten den Buchbestand, außerdem werde er von der Judaistik und der Religions­wissenschaft, zumal dem neu etablier­ten Schwerpunkt Islam, genutzt. Die ge­plante Teilung bedeute Zerstörung: Wenn überhaupt, so Daiber, solle die Bi­bliothek komplett transferiert werden. Daiber, der jetzt hätte emeritiert wer­den sollen, wird noch bis 2009 lehren und prüfen.
Der Bibliotheksumzug ist nur eine Folge der von allen Beteiligten unge­liebten Zentrenbildung. Schon im April hatten Orientalistik-Studenten protes­tiert, weil die nach der Verlegung einer Wissenschaftlerstelle nach Marburg versprochene Aufstockung des Lehran­gebots unterblieben war. Der Frankfur­ter Sprachwissenschaftler Jost Gippert sagte, schon jetzt dürften sich Studen­ten nicht mehr für den neugeschaffe­nen Studiengang Empirische Sprach­wissenschaften mit dem Schwerpunkt orientalische Sprachen einschreiben. In Zukunft soll es laut Ebsen nur eine Lektorenstelle für Arabisch an der Uni­versität geben. Heinrich Menkhaus, Marburger Professor für japanisches Recht, hält einen Umzug der Japan-Bi­bliothek für nicht sinnvoll, zumindest nicht, bevor das gesamte Zentrum „ab­gewickelt" sei. Frankfurt habe man die philologischen Bestände angeboten, da dieses Fach in Marburg nicht gelehrt werde.
Noch unklar ist das Schicksal der Frankfurter Turkologie. Dass die Ju­daistik, die ursprünglich zur Dispositi­on stand, nach Protesten sogar zu ei­nem Frankfurter Schwerpunkt erklärt wurde, lässt Daiber hoffen: Seine Pro­fessur beruhe auf der Stiftung eines jü­dischen Mitbegründers der Universi­tät, des Bankiers Heinrich Schiff. Die­ses Erbe zu vernachlässigen könne nicht im Sinne der künftigen Stifungs­universität sein. EVA-MARIA MAGEL

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

"Schon 2009/2010 würden die neuen Zentren evaluiert, daher müsse gehandelt werden."
Dies ist der wahrscheinlich entscheidenste Satz. Darauf wurden wir Studenten auch in der Senatssitzung hingewiesen. Wichtig für die Entscheidung der Verlegung ist nicht, ob Studenten angemessen studieren können (Bücher wären da wohl eine Grundvoraussetzung), sonder der Ruf eines neu gegründeten Zentrums. Aber nicht nur das neue Orient-Zentrum in Marburg wird 2009/2010 einer Bewertung unterzogen, sondern auch wir, die Studenten der Orientalistik Frankfurt. Und es wäre mir äußerst unangenehm, wenn ich in dieser Bewertung, also meiner Magisterprüfung zugeben müsste: "Ein paar Bücher habe ich gelesen. Halt die, die da waren. In Marburg war ich leider nicht so oft, um die für meine Begriffe wichtige Literatur zu besorgen, weil ich arbeiten musste, um 750 Euro Studiengebühren zahlen zu können (Wieviele Bücher hätte ich davon wohl kaufen können???). Noch ein Semester dran hängen geht auch nicht, da das Institut geschlossen wird...." Das wäre unangenehm. Nicht nur für mich, sonder auch für eine Universität, die Studenten zu so einer Halbbildung zwingt und damit in die Arbeitswelt entlässt!!!!!